Bei der Feuerwehr brennt's

    • Offizieller Beitrag

    sh:z/Schleswig-Holstein am Sonntag, 26.02.2012, Text: Kathrin Emse


    Die Lage ist noch nicht dramatisch – aber sie spitzt sich zu: Schleswig-Holsteins Feuerwehren fehlen zunehmend die Freiwilligen.


    Kiel. Wer Hilfe braucht, wählt 112. Doch was, wenn dann keiner mehr kommt? "In Deutschland hat sich eine Vollkaskomentalität breitgemacht", schimpft Andreas Fließ, Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr (FFW) in List auf Sylt. Vor sieben Jahren wurde seine Wehr zur ersten Pflichtfeuerwehr der Bundesrepublik. Der Grund: zu wenig Freiwillige.


    In Schleswig-Holstein sind die Zahlen der freiwilligen Feuerwehrleute zum Teil dramatisch zurückgegangen. Im Kreis Schleswig-Flensburg etwa sank die Zahl der Mitglieder in den vergangenen zwölf Jahren um 1009. Aufs ganze Land gesehen ist die Lage noch nicht ganz so dramatisch, da sank die Gesamtzahl der Feuerwehrleute im selben Zeitraum um 1.386.


    Problem Lebensumstände


    Schuld daran ist einerseits die von Fließ bemängelte Vollkaskomentalität. Mit dem Begriff kritisiert der Wehrführer, dass viele zwar 112 wählen wollten, aber sich für den Erhalt des Schutzes nicht verantwortlich fühlten. Und so schwinde die Zahl derer, die ausrücken, wenn Hilfe gebraucht wird.


    Verantwortlich für den Mitgliederschwund bei der FFW sind zudem die veränderten Lebensbedingungen der Menschen. Bester Beweis hierfür: Es gibt heute 72 Jugendfeuerwehren mehr als im Jahr 2000, sie zählen 9.568 Mitglieder. Doch jährlich verlassen rund 1.400 Jugendliche diese Wehren wieder, berichtet Detlef Radtke, Vorsitzender des Landesfeuerwehrverbandes Schleswig-Holstein. Warum? Weil zum einen die Förderung der Jugendarbeit von Seiten des Landes immer weiter dezimiert werde, so der Landesbrandmeister. Zum anderen begännen die Jugendlichen irgendwann eine Ausbildung – und die sei oft aus örtlichen oder zeitlichen Gründen nicht mehr mit einem Einsatz bei der FFW zu vereinbaren.


    Christian Albertsen, Kreiswehrführer in Nordfriesland, merkt zudem an, dass viele der 25- bis 40-Jährigen heutzutage gar nicht mehr dort arbeiteten wo sie wohnten. "Vor 15, 20 Jahren arbeitete man doch oft noch in einem Umkreis von fünf Kilometern zum Wohnort. Heute sind das oft 50 bis 100 Kilometer", stellt er fest. Viele würden daher gar nicht mehr in eine Wehr eintreten, da sie nicht gewährleisten könnten, dass sie vor Ort sind, wenn es brennt.


    Problem Tagesbereitschaft


    In der Tat stellt die sogenannte Tagesbereitschaft vielerorts heute das größte Problem der Wehren dar. Denn auch wenn die Wehren rein rechnerisch ihre Sollstärken hätten, müsse dies noch lange nicht heißen, dass sie am Tag auch genügend Feuerwehrleute verfügbar hätten, um tatsächlich einen Einsatz durchführen zu können, gibt Radtke zu bedenken. Für Nordfriesland hat Albertsen in einem "Masterplan Daseinsvorsorge" deutlich gemacht, wie desolat die Einsatzlage schon jetzt in einigen Orten des Kreises ist. Demnach gibt es bereits zahlreiche Gemeinden, die nicht mehr gewährleisten können, dass eine FFW innerhalb von maximal fünf Minuten nach ihrer Alarmierung am Einsatzort ist. Im Gegenteil: Es gibt sogar einige Orte, da kann dies an Werktagen 15 Minuten und mehr dauern – etwa in Tönning.


    Die Lösung: Die Wehren müssen an die jeweiligen Leitstellen melden, wann sie mit welchem Material und Personal ausgestattet sind. Entsprechend werden mittlerweile gleich mehrere Wehren alarmiert, die dann gemeinsam einen Einsatz durchführen. Wie in Schleswig etwa, das bei größeren Einsätzen bereits Hilfe von den kleineren Nachbargemeinden braucht.


    Problem Vollkaskomentalität


    Das allein hilft aber nicht, das Problem zu lösen, betonen Fließ, Albertsen und Radtke unisono. So würden nur die Symptome bekämpft. Eigentlich aber gehe es darum, die Menschen wieder zu motivieren, sich in der Feuerwehr zu engagieren. So seien im Kreis Nordfriesland etwa nur drei Prozent der Bevölkerung Mitglied in der FFW, sagt Albertsen.


    Mancherorts geht der Schwund der Mitglieder gar so weit, dass die Gemeinden – die in Deutschland per Gesetz zur Gewährleistung des Brandschutzes verpflichtet sind – ernsthaft über die Einrichtung von Pflichtwehren nachdenken. In ihr werden alle 20- bis 50-Jährigen durch die Gemeinde aufgefordert, sich auf ihre Eignung für die Feuerwehr testen zu lassen. Der Dienst ist für die anschließend Verpflichteten dann ähnlich wie in einem Arbeitsverhältnis – Anwesenheitspflicht, vier Wochen Urlaub, Attest im Krankheitsfall. Aus Sicht des Landesfeuerwehrverbandes ist dieser Schritt die ultima ratio. "Es ist ungleich schwerer, Menschen zu motivieren, wenn sie zu etwas verpflichtet wurden anstatt es freiwillig zu tun", gemahnt Landesbrandmeister Radtke. Die Fluktuation sei bei solchen Wehren deutlich höher, sobald die Zwangsverpflichteten wieder gehen dürften – nach der Pflichtzeit von sechs Jahren täten sie dies auch oft. Was unter anderem die Ausbildungskosten für die Wehren in die Höhe treibt.


    Thomas Kusch, Wehrführer in Burg (Dithmarschen) kennt dieses Problem. Als in seiner Wehr vor drei Jahren die Hälfte der Mitglieder nach einem Streit austrat, wurde aus der dortigen Freiwilligen Feuerwehr eine Pflichtwehr. "Die Motivation ist da nicht so berauschend", berichtet er. Dennoch würde er es befürworten, wenn die Gemeinde sich in ein bis zwei Jahren dazu entschlösse, die Wehr weiterhin als Pflichtfeuerwehr zu führen. "Es ist halt so unglaublich schwierig, Freiwillige heranzubekommen."


    Der Wehrführer von Deutschlands erster Pflichtfeuerwehr in List auf Sylt hingegen ist ein Fan dieser Einrichtung geworden. Es sei zwar ein heikles Thema, wenn die Leute gegen ihren Willen kommen müssten, doch er habe das in seiner Wehr gut in den Griff bekommen, sagt Andreas Fließ. Und sonst fühle sich ja keiner mehr für den anderen verantwortlich. Dazu passt es, dass derzeit auf der Insel auch Kampen und Rantum überlegen, eine solche Pflicht einzuführen.


    Problem Berufsfeuerwehren


    Eine Alternative zu den Pflichtwehren wäre die Einrichtung beziehungsweise Aufstockung von Berufsfeuerwehren. Bisher gibt es in Schleswig-Holstein vier – in Flensburg, Kiel, Neumünster und Lübeck. Eine Alternative zur FFW sind diese aber nicht. Im Gegenteil, alle vier werden zusätzlich von Freiwilligen in den Städten ergänzt. Das erklärt sich aus den Kosten: Eine Berufsfeuerwehr arbeitet im Schichtbetrieb, also braucht es schon einmal drei Menschen, um jede Schicht abzudecken. Ein Einsatzfahrzeug ist mit mindestens fünf Menschen besetzt – das macht pro Tag mindestens 15 Feuerwehrleute. Rechnet man nun pro Person Personalkosten in Höhe von 50-60.000 Euro, ist schnell klar, dass sich dies die meisten Gemeinden auch bei Zusammenlegungen nicht leisten können.


    Problem Ehrenamt


    Es gibt, so sind sich alle Gesprächspartner einig, nur eine Lösung: Das Ehrenamt Feuerwehr muss aufgewertet werden. "Der Dienst bei der FFW ist nicht mit dem Engagement in einem Fußballverein zu vergleichen", unterstreicht Landesbrandmeister Radtke. "Da ist zum einen die Tatsache, dass ein Feuer keine Rücksicht auf Uhrzeiten nimmt. Ein Feuerwehrmann muss immer raus, nicht nur Donnerstagnachmittag um 16 Uhr", erklärt er weiter. Zudem gebe es eine Verpflichtung, zum Einsatz- und Übungsdienst zu erscheinen. Doch vor allem "setzen unsere Freiwilligen mit jedem Ausrücken ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel!" Dies müsse endlich gesellschaftlich anerkannt werden. Radtke fordert daher von der Politik:


    • Größtmögliche Anerkennung der Feuerwehr-Ausbildung für Beruf und Studium.
    • Beteiligung an Kinderbetreuungskosten.
    • Kostenfreie Nutzung von städtischen Einrichtungen wie Schwimmhallen, Bibliotheken und Volkshochschulkursen.
    • Kostenlose Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrs.
    • Bevorzugte Einstellung von Mitgliedern der FFW in Verwaltung und Betrieben der Städte und Gemeinden.
    • Zulassung von Mitgliedern der FFW bei internen Stellenausschreibungen von Städten und Gemeinden.
    • Anrechnung der Feuerwehrdienstzeit auf die Rente.